Detmolder Gedenkstein in Riga eingeweiht
Gedenken im Wald von Bikernieki: Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink (von links), Regierungspräsidentin Anna Katharina Bölling und die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Dr. Oliver Arnold und Petra Hölscher, halten am Namensstein der Stadt Detmold inne. Foto: Stadt Detmold
Delegationsreise führt an Orte deutscher Verfolgungsgeschichte
Auf Anregung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ist die Stadt Detmold 2023 dem Riga-Komitee beigetreten. Das Riga-Komitee hält das Gedenken an die etwa 20.000 aus Deutschland nach Lettland verschleppten Juden wach und erinnert auch an die 70.000 lettischen Juden, die in den Wäldern nahe Riga von deutscher SS und einheimischen Hilfstruppen brutal ermordet wurden. Detmold ist das 75. Mitglied des im Jahre 2000 gegründeten Städtebundes, der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge getragen wird. Mit dem Beitritt zum Riga-Komitee wurde für die Stadt Detmold ein Stein an der Gedenkstätte im Wald von Bikernieki verlegt.
Anlässlich einer Delegationsreise der Regierungspräsidentin Anna Katharina Bölling wurde der Namensstein der Stadt Detmold im Wald von Bikernieki nahe der lettischen Hauptstadt jetzt eingeweiht. Die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Dr. Oliver Arnold und Petra Hölscher, sowie Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink beteiligten sich an der Feier an der vom Volksbund Deutsche Kriegsgräber geschaffenen Gedenkstätte. Jede der Mitgliedstädte des Riga-Komitees ist dort mit einem Namensstein verewigt.
Detmolds Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink erinnerte in ihrer Ansprache an die Riga-Deportation am 13. Dezember 1941. 26 jüdische Frauen, Männer und Kinder aus Lippe waren zunächst nach Bielefeld gebracht worden. Drei Tage später stiegen sie in den Sonderzug, der über 1000 Menschen in das von deutscher Wehrmacht besetzte Lettland brachte. Da die Deportierten aufgefordert worden waren, Handwerkszeug mitzunehmen, gingen viele davon aus, dass sie sich nach einer Umsiedlung eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen könnten. Doch sie sahen sich bald getäuscht. Als der Zug nach drei Tagen in Riga eintraf, wurden die Menschen bei eisiger Kälte von SS-Leuten in die Moskauer Vorstadt getrieben. In diesem abgesperrten Stadtteil war ein Ghetto für Juden aus dem Reichsgebiet eingerichtet worden. Die Menschen aus dem Zug aus Westfalen, Osnabrück und Lippe mussten in die beengten Wohnungen in der „Bielefelder Straße“ einziehen, in denen noch kurz vorher lettische Juden gelebt hatten. Um für die Juden aus dem Reichsgebiet Platz zu schaffen, war es Anfang Dezember 1941 zu furchtbaren Massenerschießungen gekommen. Die Deportierten ahnten nun, welches Schicksal ihnen bevorstand. Alte und Kranke wurden schon wenig später ermordet. Nur wer sich im System der Zwangsarbeit zusätzliche Nahrung verschaffen konnte, hatte eine minimale Chance. Aus Lippe überlebte einzig Günter Wallbaum. In seine Heimatstadt Bad Salzuflen ist er nicht wieder zurückgekehrt.
Dr. Bärbel Sunderbrink mahnte, dass es ein Anliegen sein müsse, Detmold und Riga gedanklich weiter zusammenzubringen und zu vermitteln, dass die deutsche Verfolgungsgeschichte nicht am Bielefelder Bahnhof endete, sondern in Riga ihre grausame Fortführung erfuhr. Historische Orte könnten wie andere Quellen „gelesen“ werden und eine Vorstellungskraft davon vermitteln, was den Deportierten ganz konkret nach der Abfahrt ihres Deportationszuges widerfahren sei, wie sie entmenschlicht und in den Wäldern bei Riga ermordet worden seien. Die Namenssteine der Mitgliedstädte des Riga-Komitees an der Gedenkstätte zeigten, wie sehr Riga und Westfalen in der Geschichte der Shoa miteinander verbunden sein. Regierungspräsidentin Bölling beschloss die Gedenkveranstaltung im Wald von Bikernieki mit einer Schweigeminute und einem bewegenden Verweis auf die Bedeutung der Erinnerungsarbeit des Volksbundes an dieser Stelle.
Auf dem Programm der Delegationsreise, an der vor allem Personen aus kommunalen Zusammenhängen und Aktive aus dem Bereich der Erinnerungsarbeit teilnahmen, standen neben dem Besuch der Tat- und Gedenkorte auch Einblicke in die aktuelle politische Situation. Der deutsche Botschafter Christian Heldt berichtete über die gewachsene Wahrnehmung der baltischen Staaten als Nato-Ostgrenze. Ein Besuch im Okkupationsmuseum machte deutlich, dass die lettische Gedenkkultur vor allem auf den Unabhängigkeitskampf von der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre fokussiert ist. Welche Bedeutung diese jüngste Geschichte für die aktuelle politische Situation hat, konnten die Teilnehmenden der Delegationsreise auch bei einem Besuch des baltischen Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung erfahren.